„Faszien sind der Ort, wo man Krankheit suchen muss, sie sind aber auch der Ort, wo Heilung beginnt“, sagte Andrew T. Still, der Begründer der Osteopathie.
Faszien sind ein z. T. hauchdünnes, fibröses Geflecht, das den ganzen Körper, insbesondere auch alle Muskeln und Organe umgibt. Sie haben eine stützende, stabilisierende und regulierende Wirkung auf die Muskulatur, sowie das venöse und lymphatische System. Als vielverzweigtes kontinuierliches Netzwerk von Spannungsverbindungen beeinflusst das Fasziensystem möglicherweise Form und Belastungsverhalten des Körpers wesentlicher als das Muskel- und Skelettsystem (Meyer/Schleip).
In den Faszien befinden sich zahlreiche Transportwege, die in ihrer Gesamtheit als Grundsystem, Matrix oder Zwischenzellsubstanz eine grundlegende Rolle für Stoffwechsel- und Immun-Regulation und meines Erachtens auch für die Informationsleitung im Körper besitzt. In diesem von Faszien umhüllten, den ganzen Körper verbindenden Grundsystem treffen sich die Ausläufer des Blut-, Lymph- und Nervensystems. Die enorme Zahl freier Nervenendigungen macht das Bindegewebe zu unserem empfindlichsten Wahrnehmungsorgan. Durch die zahlreich vertretenen, v.a. sympathischen Nervenfasern besteht auch eine wechselseitige Beziehung zwischen Fasziensystem und dem vegetativen Nervensystem. „Faszien scheinen daher nicht nur Spiegel des Vegetativums zu sein, sondern auch ein wichtiges Tor, um mittels manueller Therapie auf das gesamte vegetative System zu wirken“(Schleip*).
Man kann sich das Faszien- oder Bindegewebsnetz des Körpers wie ein Spinnennetz vorstellen, in dem die Bewegung oder Bewegungsblockade jeder Faser Einfluss auf alle anderen hat. Dem Nabel kommt in diesem Bild die Bedeutung eines wichtigen Aufhängungspunktes des Netzes zu. Neben den direkten Verbindungen zum Bauchfell und damit zum Darm, sowie zur Leber, zum Zwerchfell und darüber zum Herzbeutel und nach unten zum Urogenitaltrakt bestehen indirekte, aber therapeutisch relevante Verbindungen nach oben bis zum Schädel und nach unten bis zum Fußgewölbe und nach hinten zur Wirbelsäule.
Über das fasziale Nabelband („horizontaler Meridian“), sowie die neben dem Nabel gelegenen Reflexzonen für den Rückenstrecker und die Nierenregion besteht auch eine therapeutische wichtige Verbindung des Nabels mit dem Übergang der BWS zur LWS, der wiederum ausschlaggebend ist für Irritationen der Becken-Hüftregion. Die senkrecht über dem Nabel verlaufende „weiße Faszie“ oder Linea alba steht in Bezug zu dem über der Wirbelsäulenmitte verlaufenden Längsband. Über die Transversal-Faszie besteht eine weitere, therapeutisch wichtige Verbindung zum Hüftbeuger und über die Linea alba und dem geraden Bauchmuskel zu Schambein und Symphyse* sowie Rippen und Brustbein.
Der sensible Therapeut oder Patient kann somit über eine Verschiebung des Nabels überall im Körper die Zu- oder Abnahme der Spannung eines Referenzpunktes spüren. Dies ist prinzipiell bei zahlreichen Bezugssystemen im Rahmen der Osteopathie, Akupunktur oder Kinesiologie möglich. Für die Integrale Orthopädie besonders relevant ist jedoch die fasziale Verbindung von Nabel, Stressorganen und vegetativem Nervengeflecht im Oberbauch, sowie dem funktionell wichtigen Übergang der Brust- zur Lendenwirbelsäule. Von dort entstehen die Spannungen von Hüftbeuger und vorderem Beckenbereich sowie Rückenstrecker mit ISG-Region* und großem Rückenmuskel mit Schulter- und Nackenregion. Dadurch ergibt sich besonders eine ursächliche Beeinflussungsmöglichkeit von Rücken-, Nacken- und Schulterschmerzen.
Als Hinweis auf die bindegewebige Verbindung des Nabels mit dem ganzen Körper kann auch gesehen werden, dass sich die freie Richtung des Nabels nach Behandlung einer relevanten Narbe oder Weglassen von störenden Ohrringen oft direkt verändert. Nabel- und Narbenintegration können also zum Teil als eine „fasziale Reaktionsübertragung unter Entlastung“ (W/W*) verstanden werden und zum Teil als Schlüsselpositionen bei der Informationsübertragung in der bindegewebigen Zwischenzellsubstanz. Klaus Weber bestätigt in einer Veröffentlichung den positiven Einfluss bei lumbalem Schmerzsyndrom: Über den Nabel als ventralen (vorderen) faszialen Ankerpunkt der Rumpfwand könnten die myofaszialen, dorsalen (hinteren) Spannungsverhältnisse positiv beeinflusst werden.
Damit ist aber der Klinisch nachweisbare Effekt auf das vegetative Nervensystem sowie die nachweisbare Faszien- und Muskelentspannung unter der zweiten Hand noch nicht ausreichend erklärt. Offensichtlich wird beim Nabel- und Narbenreflex durch Hemmung sympathischer Rezeptoren im Bindegewebe vorher blockierte Energie freigesetzt und über den eigenen oder den Körper einer zweiten Person weitergeleitet.
Einen entscheidenden Hinweis zum Verständnis der Wirkung der Integrationstechniken bietet die moderne Faszienforschung: Die anhaltende sanfte Tangentialbelastung bei Nabel- oder Narbenintegration senkt über bestimmte fasziale Wahrnehmungszellen, die „Ruffini“- Rezeptoren nachweislich die Sympathikus Aktivität (Schleip, Faszien- und Nervensystem). Das Ruffini-Körperchen hat die Form eines Zylinders. Durch die Öffnungen treten kollagene Faserbündel. Dazwischen sind die Enden von Nervenfasern verankert.
Die Weiterleitung der vegetativen Entspannungsimpulse vom Nabel als zentralen, faszialen Ankerpunkt oder Narben als örtlich lokalisierte Ankerpunkte kann somit über das Fasziennetz den ganzen Körper erreichen. Die Verbindung mit dem nahe gelegenen Sonnengeflecht und den Nebennieren erklärt die zentrale Bedeutung des Nabels im Bezug auf Hemmung des Sympathikus und dadurch Anregung der Regulationsfähigkeit des vegetativen Nervensystems.
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