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VIII. Die Macht der Gedanken

1.Die Dimension der Gedanken

Gedanken bilden eine eigene Dimension. Wie auch Gefühle können sie als Reaktion auf innere Prozesse oder äußere Ereignisse in unserer inneren Welt entstehen oder uns aus der äußeren Welt erreichen.
Wie Gefühle unterstehen sie nicht immer unserem Willen. Unabhängiger und schneller als Gefühle können sie wie Fische durch das Meer unseres Bewusstseins schwimmen und sich zu Schwärmen oder inneren Vorstellungen formieren.
Sie können sich entsprechend unserer Prägung und aktuellen Befindlichkeit mit Gefühlen verbinden und eigenständig oder von diesen oder unserem bewussten Willen gesteuert, Auswirkungen haben in unserer inneren und äußeren Welt.
Die gleiche Situation oder der gleiche Mensch kann,
je nachdem, wie wir darüber denken, uns stressen oder beglücken. Die Art, wie wir über einen Menschen denken, kann dessen Einstellung zu uns beeinflussen.
Ein Placebo oder die Einstellung zu einer Krankheit können krankmachende oder heilende chemische Reaktionen in unserem Gehirn und Stoffwechsel auslösen.

Wir brauchen Gedanken, um uns zu entwickeln, Probleme zu lösen, aus der Vergangenheit zu lernen und uns für die Zukunft vorzubereiten, uns als selbstständiges, in einer Gemeinschaft lebendes Wesen zu erkennen und zu bewähren.

Die Art, wie wir denken, hängt immer auch von der Denkweise unserer Gemeinschaft ab. Wir belächeln gerne die Denkweise unserer Nachbarorte oder anderer Bevölkerungsgruppen, unterscheiden gerne zwischen verstandorientierten, genuss- oder profitorientierten Völkern.
Immer profitieren auch bestimmte Gruppen in der Gesellschaft von ihrer Denkweise und beeinflussen sie entsprechend ohne dass uns das immer bewusst ist.
Aber unser persönliches und gesellschaftliches Denken hat auch die Neigung, sich zu verselbstständigen und eine eigene Dynamik zu entwickeln. Zusammen mit den gewaltigen Errungenschaften des Denkens im Bereich der Technik führt unsere Denkweise gerade auf einen Selbstzerstörungskurs.
Die von den Erkenntnissen um den Klimawandel und die Umweltzerstörung eingeleitete und von Corona aktivierte Gegenbewegung reitet ebenfalls auf den Fortschritten der Technik, unter anderem bei weltweiten Online Seminaren und Konferenzen und sie bedient sich auch zum Teil des Reizes des damit verbundenen Profits. Aber sie erweitert auch in Hoffnung machender Geschwindigkeit das Bewusstsein vor allem der Menschen, die in Ländern leben, die unsere Welt maßgeblich ausbeuten und ihre Entwicklung lenken.

Corona könnte man als Beispiel sehen für die Beeinflussung unseres Denkens und Fühlens, sei es die Übernahme von Ängsten oder das Vergessen der existentiellen anderen Probleme in unserer Welt oder das Anpassen unserer Denk- und Fühlweise an das Leben mit der Maske, das Grüssen mit dem Ellenbogen oder der Faust oder das Einordnen von Menschen, die uns zu nah kommen, als feindliche Bedrohung.

Jeder Mensch erschafft sich mit seinen Gedanken, Gefühlen und Wahrnehmungen seine eigene Sichtweise der Welt, in der Regel mit seinem Ich im Zentrum. Die gedankliche Verarbeitung der Eindrücke unserer Wahrnehmung sowie unsere Bewertungen und Reaktionen auf Ereignisse und die Dominanz des Ichs sind abhängig von unserer familiären und gesellschaftlichen Prägung, von unserer aktuellen, körperlichen und psychischen Befindlichkeit sowie von unserer Bewusstheit.
Das Bewusstsein erschafft sich seine Freiheit und seine Begrenztheit, seine Wünsche und seine Verbote, seine Freude und seinen Kummer, seine Probleme und Ängste zum großen Teil selbst.
Dies gilt für unsere innere, wie auch unsere äussere Welt.
In unserer inneren Welt kann die intensive Vorstellung zum Beispiel von einer Urlaubslandschaft, einer erotischen Begegnung, einem Ort der Geborgenheit oder einer stresserzeugenden Situation, eines persönlichen oder beruflichen Versagens oder Erfolges stärkere Auswirkungen haben als ein seicht gelebtes, reales Erlebnis.

Und unsere Sichtweise und Interpretation der Ereignisse in der äußeren Welt kann diese beeinflussen, manchmal auch schon bevor unsere Gedanken sich in Worte oder eine Handlung umsetzen.

Unser Unbewusstes kann viel öfter, als uns das bewusst ist, Gedanken lesen und Gefühle erkennen, ohne das sie ausgesprochen oder gezeigt werden. Wir spüren nicht nur Zuneigung und Abneigung, Ängste, Zweifel oder Wünsche und erfüllen entsprechend, oft ungewollt, die Erwartungen unseres Gegenübers oder der Gesellschaft.
Wir ahnen auch oft die zugrunde liegenden Gedanken und könnten, wenn wir dieser Wahrnehmung Raum geben, unser eigenes Denken, Fühlen und Handeln von seiner unbewussten Beeinflussung befreien.

Unsere Gedanken und Gefühle werden einerseits provoziert von unserem Körper, seinem Befinden und Begehren, von unserer Vergangenheit, Spekulationen über die Zukunft, Hoffnungen und Ängsten, äußeren Ereignissen und Einflüssen. Anderseits unterliegen wir bewusst oder unbewusst dem Zeitgeist, der Politik, den Medien, der Wirtschaft und Mode.

Gedanken aus der Tiefe unseres Unbewussten entstehen ebenfalls oft unter starkem Druck, wie eine im Erdinnern entstehende Gasblase. Wenn Sie an die Oberfläche unseres Bewusstseinssees aufsteigen, werden sie immer grösser und können mächtige Wellen erzeugen, die unser Denken, Fühlen und Handeln unbewusst beeinflussen.

Je stiller und klarer das Meer unseres Bewusstseins ist,
umso reiner spiegelt es die äussere Wirklichkeit, umso tiefer können wir in die Tiefe unserer inneren Welt schauen, umso deutlicher erkennen wir den Ursprung unserer Gedanken und Gefühle und umso leichter können aus der Tiefe des Seins Erkenntnisse aufsteigen und sich zu Ideen formen.

Nicht nur Schriftsteller suchen oft die Abwesenheit äusserer Gedankenwellen in der Nacht oder innerer Gedanken in einem Trancezustand oder der Meditation, um sich von der Stille in die Tiefe tragen zu lassen.
Während ein schwacher und unkontrollierter Gedankenimpuls schnell verflacht, kann eine aus unserer inneren Tiefe entspringende oder von gleichwelligen, emotionalen Schwingungen begleitete Idee uns neue Horizonte eröffnen, das Bewusstsein anderer Menschen erreichen und Auswirkungen haben sowohl in unserem Körper, wie in unserer äußeren Welt, konstruktive, aber auch destruktive.
Ein Beispiel dafür ist die Auswirkung der Angst vor Krankheiten bei ihrer Entstehung und Ausbreitung oder die Auswirkung unserer inneren Zuversicht oder unserer Zweifel an uns selbst beim Erreichen eines Zieles.
Unsere Unkonzentriertheit, also die Unordnung unserer Gedankenschwingungen wirkt sich regelmäßig auf unsere Handlungen und unsere Umgebung aus.
Und wir kennen die Auswirkungen innerer Ruhe eines Menschen auf seine Umgebung.
Gedanken können uns mit dem Hier und Jetzt sowohl verbinden als auch trennen.
Wie oft sind wir in Gedanken versunken und nicht gegenwärtig. Wenn unsere Gedanken und unser Ich die Vorzüge einer reinen Wahrnehmung ein Mal gekostet haben, folgen Sie bereitwillig dem Weg in die Freiheit und Tiefe unseres Selbst.
Auf diesem Weg brauchen wir auf Nichts von wirklichem Wert zu verzichten. Im Gegenteil, statt die meiste Zeit unseres Lebens nicht wirklich da zu sein oder mit der Nach- und Vorbereitung von irgendwelchen Dingen beschäftigt zu sein, lernen wir, unsere Gedanken zu den stillen, aber mächtigen Schwingen eines Adlers zu entwickeln, der die Welt stets wachsam betrachtet, sich  mühelos vom Leben tragen oder blitzschnell auf sein Ziel fallen lässt.
Und dieses liegt verborgen im Augenblick.
Den Flug in das Jetzt können wir lenken, um uns die Geschenke des Lebens zu vergegenwärtigen, uns in Gedanken mit Freunden oder unserer Umgebung, mit unserem Körper oder mit der Erde zu verbinden.
Selbst in der tiefsten Dunkelheit weiß der Weise, den letzten Atemzug dankbar zu nehmen.

Um die Kraft der Gegenwärtigkeit zu erfahren, brauchen Gedanken genauso wie Muskeln ein Training.
Und dieses kann sehr gut in Zusammenarbeit mit dem Körper erfolgen, wie bei konzentrierter Arbeit, insbesondere bewusster Körperarbeit, wie Yoga, Qi Gong oder Breema, bewusster Wahrnehmung, Hingabe und Meditation.
Viele von Ihnen kennen die Auswirkung der Gedanken beim Autogenem Training. In meiner Praxis lernen die Patienten, ihre Gedanken zur Entstörung von inneren Narben dorthin zu lenken. Sie spüren genau, in welche Richtung sich die Narbe in der Vorstellung leichter lenken lässt, erfahren oft die Freisetzung der dort fest gehaltenen Emotionen und immer die wohltuende Reaktion der Umgebung in Form von Wärme und die Entspannung des ganzen Körpers, einschließlich der Auflösung einer Beckenverwringung.

Wenn wir lernen,

unsere Gedanken zu lenken, statt ihnen ausgeliefert zu sein,
ihre Kraft zu bündeln und bewusst einzusetzen,
auftauchende Gedanken gelegentlich auf ihren Ursprung und ihren Bezug zu unseren Gefühlen zu betrachten und
bevor wir sie in Worte oder Handlungen umsetzen auch schon Mal kurz über ihre Zweckmäßigkeit nachzudenken, vor allem wenn wir müde oder emotional aufgerührt sind,
unserer unbewussten Wahrnehmung von Gedanken zu vertrauen und
der Beeinflussung von unerwünschten, eigenen oder fremden Gedanken auch schon Mal zu widerstehen,
– unser Denken immer wieder zurück zu holen von unkontrollierten Ausflügen in Vergangenheit und Zukunft, in unbewusste und wenig hilfreiche Gedankenschleifen von Selbstbedauerung bis hin zu Selbstüberschätzung,
– unser Bewusstsein still und offen zu halten für Impulse aus der Tiefe des  inneren und äusseren Unbewussten,

können wir

– auf dem gezähmten Pferd unserer Gedanken, die Tiefen und Schätze der Gedanken- und Traumwelten erkunden,
bewusster die Schönheiten und Geschenke in unserer Welt und ihren Mitbewohnern wahrnehmen,
durch immer feinere und bewusstere Wahrnehmung die darin verborgenen Wunder erkunden,
– uns auch mit anderen Ebenen und deren Kräften verbinden und
immer kontinuierlicher mit dem Augenblick und der dahinter liegenden Stille verschmelzen.

Die gleich schwingende Ausrichtung unserer Gedanken- und Gefühlsebenen auf die Wahrnehmung der Wahrheit im Hier und Jetzt kann uns für eine wirkliche Berührung des Lebens öffnen.
Und wenn diese Ebenen auf gleich schwingende andere Menschen oder Ebenen voll Schönheit, Freude, Mitgefühl, Frieden oder Liebe treffen und mit ihnen in Resonanz kommen, kann unser Bewusstsein sich als Teil des Ganzen erleben.

2. Übungen

In diesem Sinne möchte Ich Ihnen wieder einige Übungen vorschlagen.

2.1. Der Wunsch

Legen oder setzen Sie sich bequem hin.
Stellen Sie sich ziemlich konkret, aber gefühlsneutral ein bestimmtes Ziel vor, das Sie erreichen möchte.
Es kann ein Zustand von Gesundheit oder ein persönliches oder berufliches Ziel sein.
Legen Sie jetzt beide Hände auf den Bauch und schieben Sie ganz zart mit einem Finger ihren Nabel in die angenehmste und weicheste Richtung. Damit entspannen Sie den Schlüsselpunkt ihres Faszienszstems, das eng mit dem autonomen Nervensystem und unserem Unbewussten verbunden ist.
Konzentrieren Sie sich dabei auf ihren Bauch. Der entstehende tiefe Atemzug zeigt bereits die Aktivierung ihres Vagusnerven an. Dieser führt mit dem größten Teil seiner Fasern die in ihrem Bauch entstehenden Informationen zu den unbewussten Bereichen ihres Gehirns.
Stellen Sie sich beim nächsten Einatmen kurz, aber konkret die Verwirklichung ihres Zieles vor, wie ein Stein, der in einen ruhigen See fällt. Beim Ausatmen beobachten Sie die Auswirkung dieses Gedankens wie eine, sich vom Zentrum ihres Körpers aus auf ihren Körper, ihre Gefühle und in die Welt der Stille ausbreitende Welle. Überlassen Sie die weitere Entwicklung dann vollständig und auch in der nächsten Zeit ihrem Unbewussten und der Stille, um den Verlauf der ausgelösten Wellen nicht zu stören.

2.2,Das Training

Unser Denken braucht wie unsere Muskeln sowohl Training wie auch Erholung. Während die meisten Menschen ihre Muskeln und Sehnen zu wenig planmäßig kräftigen und dehnen, sind unsere Gedanken meist unentwegt und planlos in Bewegung. Eine Bewegung, die zum größten Teil nicht nur unnötig und ineffektiv ist und viel Energie verbraucht, sondern oft auch kontraproduktiv ist, da sie uns von der Gegenwart entfernt.

a.Entwickeln Sie die Gewohnheit ihren Kopf regelmäßig runter zu fahren. Sie werden schnell erkennen, wie gut das tut und wie viel besser er funktioniert, nachdem er etwas Energie getankt hat, um auch die anspruchsvolleren Gehirnareale nutzen zu können.
Setzen oder legen Sie sich dazu mehrmals am Tag, spätestens, wenn Sie Anzeichen der Müdigkeit verspüren, bequem hin, beobachten Sie Ihren Atem und seine Auswirkung auf Ihren Körper. Stellen Sie sich zum Beispiel die ruhige Oberfläche eines Sees vor und beobachten Sie wie gelegentlich Gedanken wie Luftblasen auftauchen. Betrachten Sie deren Ursprung und Verlauf und lassen Sie die Gedanken an der Oberfläche aufplatzen und verschwinden. Dehnen Sie die dazwischen liegenden Phasen der Stille immer weiter aus.
b.Gewöhnen Sie ihre Gedanken geduldig aber hartnäckig an die Zügel ihres Willens. Führen Sie jede gedankliche oder körperliche Tätigkeit, aber auch Genuss- und Entspannungsphasen, wie zum Beispiel Musik hören mit entspannter und liebevoller Hingabe und Konzentration aus. Bringen Sie abschweifende Gedanken konsequent immer wieder zurück in die Gegenwart.
Sie können dazu morgends im Bett anfangen, indem Sie Ihren Körper ein Paar Mal strecken und bewusst spüren. Unter der Dusche können Sie sich vorstellen, mit dem Wasserstrahl ihren Körper auch innerlich zu reinigen. Anschließend erleben Sie sich bereit für den schönsten und wichtigsten Tag ihres Lebens.
Sobald Sie merken, Sie sind  wieder ohne triftigen Grund nach vorne oder hinten in der Zeitachse abgedriftet, konzentrieren Sie sich auf das, was Sie gerade tun oder wahrnehmen, betrachten Sie immer wieder die Wunder in ihrer Umgebung und die Geschenke des Lebens. Tauchen Sie immer tiefer in die Begegnung mit ihren Mitmenschen und ihrer Umgebung oder ihrem Körper und der Stille.